30. SONNTAG im Jahreskreis

 

Evangelium nach Matthäus (22,34-40)

 

Es ist schon lange her, als ich einmal ein Buch gelesen habe mit dem Titel: „Die Liebe hat viele Gesichter“. Es gibt viele Formen der Liebe: die Liebe von Eltern zu ihren Kindern, die anders ist als die Liebe von den Kindern zu den Eltern, anders als die Liebe zwischen Geschwistern, anders als die Liebe zwischen Mann und Frau, die wieder anders ist als die Liebe zwischen Freunden oder Freundinnen. Bei allen geht es um Liebe, aber Liebe mit unterschiedlichen Eigenschaften. Aber alle haben sie eine Grundform der Liebe gemeinsam: die Liebe zum Nächsten.

 

Diese aber ist wieder anders als die Liebe zu Gott. Was heißt es, Gott zu lieben, wie Jesus es sagt: »Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand“ ? Diese Liebe zu Gott hat etwas mit unserem Herzen und deswegen mit unseren Gefühlen zu tun. Aber es geht nicht nur um Gefühl, sondern auch um unseren Verstand, der sagt, dass es gut und sinnvoll ist, Gott zu lieben und deswegen will ich es auch: Lieben ist dann auch ein Willensakt.

 

Woher kommen aber meine Gefühle für Gott, was löst sie aus und welche Art von Gefühlen sind es? Sie entstehen, weil ich erfahren habe, dass Gott mich von Geburt an liebt, mich annimmt, so wie ich bin, mich bejaht, mich als wertvoll erachtet, auch wenn es in meinem Leben einmal daneben geht. Gott liebt mich ohne Voraussetzungen, bedingungslos, ohne dass ich dafür etwas getan habe, ohne dass ich es „verdient“ habe. Wenn dieses Bewusstsein, von Gott bedingungslos geliebt zu sein, in mir wach wird, mich betroffen macht und sich im Laufe meines Lebens immer mehr verstärkt, dann spüre ich in mir ein unendliches Gefühl der Dankbarkeit Gott gegenüber. Und diese Dankbarkeit lässt in mir ein Grundvertrauen zu Gott entstehen. Ich liebe Gott. Vielleicht können wir sagen: Unsere Liebe zu Gott besteht hauptsächlich aus Dankbarkeit ihm gegenüber. Das ist unsere Antwort auf seine Liebe zu uns, mit ganzem Herzen, mit unserem Verstand, mit unserem Willen, mit allem was in mir ist, mit meiner ganzen Persönlichkeit.

 

Und was heißt es dann, unseren Mitmenschen zu lieben wie uns selbst? Diese „Näch-stenliebe“ hat einen anderen Charakter als die Liebe zu Gott. Jesus sagt: den Mitmenschen lieben „wie sich selbst“. Im Grunde genommen deutet er damit an, was in der in allen Religionen bekannten „Goldenen Regel“ gesagt wird: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch für sie.“ Hier ist mit Lieben an erster Stelle eine Aktivität, eine Tat gemeint, nicht so sehr ein Gefühl. Den anderen lieben heißt dann, etwas für sein Wohl tun, so wie ich gerne habe, dass andere etwas für mein Wohl tun. Das kann ich sogar, wenn der andere mir nicht so direkt sympathisch ist und ich keine Gefühle der Zuneigung und Sympathie für ihn empfinde. Ich brauche ihn nicht zu umarmen. Es kommt darauf an das Gute, das ich tun kann, für ihn zu tun. Hier geht es an erster Stelle um das Wollen.

 

Und warum will ich dem anderen Gutes tun? Nicht nur aus Mitleid, sondern weil der andere genauso ein von Gott geliebter Mensch ist wie ich. Biblisch formuliert: Er ist genauso ein „Kind Gottes“. Und so stellt sich heraus, dass Gottes- und Nächstenliebe unverbrüchlich zusammengehören. Im ersten Johannesbrief heißt es: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Mitmenschen hasst, ist er ein Lügner, denn wer seinen Mitmenschen nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.” Nächstenliebe kann man nicht von Gottesliebe trennen. Ja, sie macht Gottesliebe erst glaubwürdig! Wir lieben Gott nicht wirklich, wenn wir nicht die lieben, die er liebt. Unsere Grundeinstellung zu den Mitmenschen soll dieselbe sein, wie diese von Gott zu ihnen. Jesus stellt die Nächstenliebe auf die gleiche Stufe wie die Gottesliebe, verbindet beide miteinander. Beide gehören untrennbar zusammen.

 

Ich glaube, das alles Entscheidende für unser Leben - das, was unser Leben gelingen oder scheitern lässt - ist: Wenn Gott mich am Ende meines Lebens fragt: „Hast du in deinem Leben genügend geliebt?“

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